05.06.2014

„Es ist normal, verschieden zu sein“

Diese Aussage, die von dem ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker getroffen wurde, beschäftigte uns, den Religionskurs der Einführungsphase von Herrn Klug, am Mittwoch, den 28. Mai 2014.

Unter der Leitung von Andrea Berger, der Vereinskoordinatorin der Lebenshilfe Borken, gewannen wir erstmalig Eindrücke zu der Arbeit mit behinderten Menschen. Mit großer Einfühlsamkeit gab Frau Berger Auskunft über ihre Erfahrungen und ihren Einsatz für Menschen mit Behinderungen. In vergangenen Jahren arbeitete die 48 Jährige in einer Behindertenwerkstatt, in welcher sie immer aufs Neue von dem herzlichen Empfang ihrer Gruppe begeistert wurde. Der Austausch und die prägenden Begegnungen motivierten sie, ihre Arbeit fortzusetzen. Augenblicke der Trauer begleiteten Frau Berger, wenn ein Behinderter verstarb oder jemand in unwürdigen Verhältnissen lebte.

Der Transfer über das Normalisierungsprinzip, die Integration und schließlich die Inklusion rückten in den Fokus der Unterrichtsstunde. Die Vereinskoordinatorin gab einen Einblick in die drei Gebiete. In den 1950er Jahren entwickelte der Däne Bank-Mikkelsen das Normalisierungsprinzip als wichtigsten Grundsatz für den Umgang mit Menschen mit Handicap. Deren Leben solle so normal wie möglich gestaltet werden. Der Schwede Bengt Nirje strebte eine praktische Ausführung des Prinzips an. Die Lebensbedingungen sollten grundsätzlich so verändert werden, dass konventionelles Leben erreicht werde. Nirje beanspruchte unter anderem einen normalen Tagesrhythmus für Menschen mit Beeinträchtigungen. Das Normalisierungsprinzip wurde in den 1960er Jahren abermals ausgearbeitet. In Kanada und den USA konzipierte Wolf Wolfensberger drei Systemstufen, für die das Prinzip gelten sollte. Es ging zunächst um die einzelne Person, weitergeführt um die Institutionen und als Makrosystem erkannte er die Gesellschaft an. Bei der Umsetzung dieses Prinzips gab es jedoch Komplikationen, da auf die Individualität (z.B. Behinderungsform, Alter) nicht immer eingegangen wurde.

Die Integration meint die Zusammenfügung zu einer Ganzheit unter Einbezug von Gruppen von Menschen, die vorher ausgeschlossen wurden. Hierbei regeln spezifische Gesetze, dass Menschen mit Behinderungen durch individuelle Hilfen, wie das Errichten eines Aufzugs am Arbeitsplatz, am alltäglichen Leben teilhaben können. Bei der Integration muss sich die Gruppe der Menschen mit Behinderungen auf die restliche Gesellschaft zu bewegen, um gleichberechtigt an der Sozialstruktur mitzuwirken.

Im Vergleich zur Integration bedeutet die Inklusion primär, dass sich beide Gruppen aufeinander zu bewegen. Die Gesellschaft soll sich den Bedürfnissen der Menschen mit Behinderungen anpassen und sich ihnen öffnen. Die Gruppen sollen sich zu einer bunten, vielfältigen Einheit zusammenschließen.

Zu Beginn der Stunde erklärten sich drei Schüler bereit, für die gesamte Sitzung mit einer „Behinderung“ zu leben. Ein Mädchen durfte nicht sprechen, einem anderen war es nicht erlaubt, sich zu bewegen und der dritte Schüler hielt die Augen geschlossen. Die drei empfanden die Situation als ungewohnt und fühlten sich auf irgendeine Weise hilflos. Obwohl sie lediglich eine Stunde mit dieser Einschränkung auskommen mussten, stellte dies eine Herausforderung dar. Die Vorstellung mit einer derartigen Beeinträchtigung tagtäglich zu leben war für niemanden ein angenehmes Gefühl.

Im Gespräch erkannten wir unmittelbar, von welcher immensen Bedeutung die Inklusion ist. Andrea Berger weiß, dass sich das Denkmuster der Gesellschaft ändern muss. Man muss behinderte Menschen von Anfang an am normalen Leben teilhaben lassen und sie einbinden. Die Ausstattung der Städte beispielsweise muss nach behindertengerechter Planung erfolgen.

„Es ist normal, verschieden zu sein“- das wusste schon Richard von Weizsäcker. Nur mit dem Einsatz eines jeden einzelnen bleibt die wunderbare, unendliche Vielfalt der Gesellschaft erhalten. Ein herzliches Dankeschön an Andrea Berger und ihre Bemühungen.

Sophia Honerbom


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